Wunderschön, kraftvoll und trotz einer Handlung, die vor mehr als 100 Jahren spielt (1918, um genau zu sein), überraschend zeitgemäß. Sjón erzählt vonWunderschön, kraftvoll und trotz einer Handlung, die vor mehr als 100 Jahren spielt (1918, um genau zu sein), überraschend zeitgemäß. Sjón erzählt von einem einsamen, queeren Teenager, der das Kino bzw. Stummfilme liebt - und um den herum die Spanische Grippe ausbricht. Vor allem aber ist es ein Roman über Island und die ganz besondere Magie dieses Landes, die sich vor allem im Ende nochmals entfaltet. Mystisch mag ich eigentlich nicht, aber von Sjón lass' ich mich gerne verzaubern....more
Ein einnehmendes Debüt mit feiner Charakterzeichnung. Die Erzählweise ist teils sehr experimentell-besonders, nicht ganz nach meinem Geschmack, aber gEin einnehmendes Debüt mit feiner Charakterzeichnung. Die Erzählweise ist teils sehr experimentell-besonders, nicht ganz nach meinem Geschmack, aber gut gemacht.
Ein sehr erfrischender, zeitgeistiger Roman über extreme digital Detox: Die Protagonistin will ihre gesamte digitale Existenz löschen - mit unerwartetEin sehr erfrischender, zeitgeistiger Roman über extreme digital Detox: Die Protagonistin will ihre gesamte digitale Existenz löschen - mit unerwarteten Ergebnissen und Erlebnissen. Dieses sachte Abgleiten in die Einsiedlerei hatte was von Moshfegh.
Mehr zum Buch in unseren ausführlichen Besprechungen @ Papierstau Podcast: #272 ...more
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2020 (ShETA: [Dieses Buch haben wir auch im Papierstau Podcast besprochen: Folge 117: Buchpreis Longlist #2]/ETA
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2020 (Shortlist)
Ein düsteres, sehr bedrückendes, teils geradzu ängstigendes Buch: Depression, Suizid(gedanken), Trauma, Alkoholsucht - die grobe Themenauswahl fungiert hier schon als Triggerwarnung.
Der Erzähler reist mit seinem jungen Sohn zurück in seine Heimat. Dort lauern natürlich an jeder Ecke Erinnerungen - für den Erzähler sind diese meist qualvoll und schmerzhaft, denn seine Vergangenheit wird von "unaussprechlichen" Tragödien geprägt. Sowohl Vater als auch Groß- und Urgroßvater haben sich umgebracht, die Umstände wurden danach jeweils totgeschwiegen. Nun ist der Erzähler selbst in dem Alter, in dem seine Ahnen meist schon aufgegeben hatten - und er weiß nicht, ob er stark genug ist, dem Schicksal zu entfliehen und seinen Sohn davor zu beschützen.
Bov Bjerg erzählt die Geschichte in Fragmenten - die Serpentinen sind nicht nur die kurvigen Straßen der Schwäbischen Alb, sondern auch die Erinnerungsverläufe, Wiederentdeckungen, Reminiszenzen. Außerdem wabert, je nach Alkoholspiegel, das Bewusstsein des Erzählers hin und her ("Reich mir mal noch ein Bier rüber"). Neben den bereits erwähnten Themen - intergenerationelles Trauma, versinnbildlicht durch Depression und Suizid - spielt auch Klassismus eine Rolle. Der Erzähler, mittlerweile studierter Soziologe, traut seinem eigenen Bildungsweg nicht; zu hoch hinaus ist er, der einfache Arbeiterjunge, gekommen, merkt das denn keiner?
Kurzum: Gesellschaftliche relevante Themen, die weh tun, das Ganze innovativ erzählt. Was mir hier besonders gefallen hat, ist die Darstellung der Krankheit Depression. Das Thema hält ja immer mehr Einzug, nicht nur im Sachbuch, und ist natürlich, wie die Krankheit selbst auch sehr unterschiedlich empfunden wird und "wirkt", auf verschiedene Weise darstellbar. Bov Bjerg wählt hier den steinigsten Weg. Sein Charakter steckt ganz tief drin in der Depression, seine Gedankenwelt sind von Suizidgedanken und dem Nachdenken über den (familiären) Suizid bestimmt, und auch die Zukunftsgedanken sind überwiegend düster bis grausam. Das ist schwere, harte Kost, auf die sich sicher nicht jede*r Leser*in einlassen will, was verständlich ist. Ich lobe Berg für seinen Mut, die dunklen Seiten der Krankheit so böse und direkt "nackt" zu zeigen - das zu lesen ist teils sehr ungenehm, aber manchmal nötig....more
Dieses Buch ist allein schon deshalb spannend unETA: [Dieses Buch haben wir auch im Papierstau Podcast besprochen (Folge 108: Chinese Democracy)] /ETA
Dieses Buch ist allein schon deshalb spannend und lesenswert, weil es ein Stück Zeitgeschichte abbildet, in der wir uns alle, weltweit, gerade befinden. Alles ist so frisch und - da die Corona-Pandemie bekanntlich in Wuhan ihren Anfang nahm und diese Stadt uns entsprechend ein paar Monate voraus ist - sind viele Fragen und Themen, die hier zur Sprache kommen nach wie vor relevant, auch für uns westliche Länder.
Mehr als zwei Monate war Wuhan im Lockdown, und die chinesische Schriftstellerin Fang Fang hat während dieser Zeit täglich ein Online-Tagebuch geführt. Alle Einträge sind in diesem Buch gesammelt, übersetzt und mit (wenigen, aber ausreichenden) hilfreichen Fußnoten versehen von Michael Kahn-Ackermann. Karten der Stadt Wuhan und China, eine Chronologie der Ereignisse, ein Vorwort (wie es zum Tagebuch kam) und Nachwort (über die Stadt Wuhan) der Autorin runden das Paket ab.
Fang Fang beschreibt das Leben im Lockdown - und wir reden hier von einem mehr als zweimonatigen striktem Ausgangsverbot. Sie schildert die Stimmung der Wuhaner*innen (sie ist gut vernetzt und pflegt via Internet und Telefon zahlreiche Kontakte zu Menschen aus den verschiedensten Bevölkerungs- und Berufsgruppen), ihre eigenen Ängste und Sorgen und gibt auch Antworten auf die scheinbar banalsten Fragen (z.B. wie die Lebensmittelverteilung organisiert wird, wenn man seine Wohnung nicht verlassen darf, was mit den Menschen ist, die vor dem Lockdown in Wuhan gestrandet waren usw.).
Fang Fang erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Vollständigkeit - immer und immer wieder betont sie, dass sie nur ihre Sicht der Dinge erzählt ("Alles, was wir tun können, ist, zu dokumentieren."). Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, reicht ihren Kritiker*innen aber lange nicht - und davon gibt es genug. Denn Fang Fang wagt etwas, das in China nicht gerne gesehen wird: Sie übt Kritik. Und zwar berechtigte; Kritik jener Art, die wir für angebracht und relativ harmlos halten, in China aber zu Shitstorm und wiederholten Löschungen ihrer Einträge geführt hat (dank des Internets und ihrer 3,5 Millionen Follower konnten die Einträge aber immer rechtzeitig weitergeleitet werden). Ihre Kritik? Nun, z.B.: Dass den Menschen zu lange die Wahrheit vorenthalten wurde (noch am 10.1. verkündete ein Funktionär, das Virus sei nicht von Mensch zu Mensch übertragbar und eindämmbar; noch am 20.1. fanden in Wuhan große, von der Stadt organisierte Feste statt - die Geburt zahlreicher Superspreader). Dass man aus dem Umgang mit SARS wenige Jahre zuvor anscheinend nichts gelernt hat (auch in Wuhan fehlte es z.B. zu Beginn an Schutzmasken, und für die Restbestände wurden geradezu astronomische Preise aufgerufen). Dass gewisse Staatsdiener*innen einfach nur stumpf Befehle ausführen ohne auf die aktuelle Situation einzugehen usw.
Alles nachvollziehbar und legitim in meinen Augen, und dennoch: Fang Fang wird angefeindet, und das nicht zu knapp, und auch darauf geht sie hier ein. Dass ihre Quellen, darunter diverses medizinisches Personal, meist anonym auftritt - wer kann es ihnen verdenken, siehe Li Wenliang? Aber auch das nehmen die Kritiker*innen natürlich dankbar an (übrigens auch hier nachzuvollziehen, siehe einige der 1-Sterne-Bewertungen für dieses Buch).
Natürlich kann ich den Wahrheitsgehalt der Einträge nicht überprüfen. Aber, und das ist der "Vorteil" an der Aktualität der Thematik: Auch wir haben mittlerweile so einiges über diese Pandemie mitbekommen. Und Fang Fang will hier letztlich auch keine "neue Wahrheit" verkaufen, sondern sie dokumentiert, was die Wuhaner*innen umtreibt, was sie ärgert, was sie verstört, welche Entbehrungen sie ertragen mussten, und wie sie die Hoffnung nicht verloren haben. Bemerkenswert, auf vielen Ebenen.
P.S.: Das Buch gibt es momentan nur auf deutsch und englisch - zwar hatten auch zehn chinesische Verlage Interesse bekundet, dieses auf Druck der Regierung aber wieder zurückgezogen, nachdem die VÖ in D und USA bekannt und Fang Fang als Marionette des Westens beschimpft wurde....more
Wie bei jedem Thema des "Zeitgeistes" hat der Buchmarkt aktuell auch einiges zu "Corona/Covid-19" zu bieten, und ich frage mich bei diesen Büchern ja Wie bei jedem Thema des "Zeitgeistes" hat der Buchmarkt aktuell auch einiges zu "Corona/Covid-19" zu bieten, und ich frage mich bei diesen Büchern ja immer, wie viel davon Schnellschuss ist und was wirklich halbwegs interessante, hilfreiche oder zumindest nicht vollends verschwurbelte Lektüre zum Thema sein möge. Ist so ein Buch in einer Zeit, in der wöchentlich, wenn nicht täglich eine neue Sachlage neue Reaktionen und Folgen hervorruft, nicht zur Erscheinung schon überholt?
Nun, mit diesem vorliegenden Werk macht man, was diese Überlegungen angeht, nicht viel falsch. Dieses Buch erscheint in der Tat zum "richtigen" Zeitpunkt (oder dem, was einem solchen in diesen Tagen entspricht), denn es fokussiert nicht allein auf die Gegenwart und leitet daraus mögliche spekulative Entwicklungen ab. Es vergleicht vielmehr die aktuelle Pandemie mit vorherigen, analysiert die damaligen Vorgehen und ihre Ergebnisse und versucht, daraus Empfehlungen für die aktuelle Situation abzuleiten.
Natürlich wird auch dieses Buch in absehbarer Zukunft zumindest teilweise überholt sein - was das aktuelle Zahlenmaterial und den aktuellen Forschungsstand (hier: Ende April 2020) betrifft. Zum Zeitpunkt des Lesens fiel das noch nicht so ins Gewicht, abgesehen davon ist der eigentliche Inhalt dann wieder recht zeitlos. Die Autoren sind "alte Hasen" in Sachen Medizin und Medizingeschichte, müssen sich also nicht groß in eine komplett neue Materie einarbeiten. Auch dies erklärt sicher einen Teil der "schnellen" Veröffentlichung.
Grundsätzlich ist die Sprache und Argumentation der Autoren sehr sachlich und verständlich. Sie vergleichen Corona auf verschiedenen Ebenen mit vergangenen, großen Pandemien - von Pest und Cholera über Polio, Malaria und Spanische Grippe bis hin zu Aids - Beispiele gibt es genügend. Wie wurden diese Pandemien entdeckt, eingedämmt, wie wurde ihnen vorgebeugt? Welche Maßnahmen erwiesen sich als hilfreich, welche als unsinnig? Und welche Lehren wurden daraus gezogen? Die Autoren stellen auch durchaus kritische Fragen, aber auch hier: Sachlichkeit first! Das kommt alles sehr seriös und fundiert daher.
Die medizinhistorischen Bereiche haben mir gut gefallen. Da waren einige durchaus spannende, teils erschreckende und auch sehr informative Aspekte dabei. Allerdings gab es dafür auch einige Passagen, die sich teils sehr detailliert mit verschiedenen naturwissenschaftlichen Teilbereichen befasst haben. Da hat mir das Buch etwas zu sehr geschlingert und ich fragte mich (und das nach immerhin gut einem Drittel des Textes), ob ich überhaupt zum Zielpublikum gehöre. War mir persönlich an diesen Stellen eindeutig zu wissenschaftlich. Auch kam mir der "Ausblick-Teil" zu wenig vor, hier hatte ich mir etwas mehr von erhofft. ...more
Eine wunderschönes, gleichzeitig aber auch tief trETA: [Dieses Buch haben wir auch im Papierstau Podcast besprochen (Folge 96: Alphabet Street)] /ETA
Eine wunderschönes, gleichzeitig aber auch tief trauriges und sehr berührendes Buch. Augenscheinlicher Mittelpunkt der Story ist der Beginn der Aidskrise in den 80er Jahren, hier erzählt am Beispiel einer Clique in Chicago. Die schwulen Männer erlebten gerade eine Blütezeit ihres Seins, sie fühlten zum ersten Mal so etwas wie Hoffnung, ihr Leben frei und ungezwungen leben zu können - da machte das damals noch recht unbekannte Virus dem allen ein Ende. Nicht nur, dass viele junge Männer viel zu schnell starben, auch der Umgang mit der Krankheit war erschütternd - sowohl "intern" (wie z.B. die Angst vieler, sich testen zu lassen, da sie eine Art Verschwörung zu einer Erfassung aller schwulen Männer fürchteten) als auch "extern" (die mit der Unwissenheit verbundene Ablehnung, Missachtung und Diskriminierung Erkrankter und schwuler Männer allgemein).
Ein nahe gehendes Thema, das schon mehrfach, aber nicht oft genug umgesetzt wurde (z.B. in Randy Shilts verfilmten Roman ... und das Leben geht weiter oder im HBO-Film "The Normal Heart"). In "Die Optimisten" steht Yale im Mittelpunkt, wir sind als LeserIn dicht bei ihm und seiner Geschichte, die mir sehr nahe ging - ein bestimmter "Twist" war zwar schon recht früh erkennbar, was aber nicht störte - dafür gab es später noch andere Entwicklungen, die mich eiskalt erwischt und zu Tränen gerührt haben. Makkai erzählt die Geschichte sehr ruhig und mitfühlend, ohne unnötigen Kitsch oder gewollte LeserInnenqual - es ist einfach nur tragisch und dabei sehr, sehr echt.
Was den Roman von Rebecca Makkai außerdem so besonders macht, ist, dass sie die Geschehnisse der 80er und die damit zusammenhängende "verlorene Generation" mit anderen Unglücken in Zusammenhang bringt. In der "Haupt"storyline erzählt ein Nebenstrang die Geschichte von Nora, einer alten Frau, die auf ihr Leben zurückblickt und die "verlorene Generation" junger Männer aus dem 1. Weltkrieg betrauert. In der Fast-Gegenwart (2015) versucht Fiona, Noras Großnichte, in Paris ihre verloren geglaubte Tochter wiederzufinden und wird mit weiteren, aktuellen Unglücken konfrontiert. Fiona ist somit Dreh- und Angelpunkt des Buchs, sie gehört fest zur "80er-Jahre-Clique" und verbindet die unterschiedlichen Erzählebenen.
Ich fand die beiden Zeitschienen sehr stimmig und gut nachvollziehbar erzählt und könnte gar nicht sagen, welche mich mehr interessiert hat. Die 80er nehmen den deutlich größeren Teil ein, doch auch die 2015er-Kapitel trieben die vorherrschenden Gedanken und Ideen sehr gut voran: Was ist Familie, und was kann oder darf Familie? Wie verarbeitet man Verlust, und vor allem: wie lange? Und wie können entsetzlich große Lücken überhaupt gefüllt werden?
Ein nachdenkliches, sehr empfehlenswertes Buch, das trotz aller Melancholie eine große Lesefreude ist....more
The (original German) title nails it: Darm mit Charme (charmful gut / gut's charm), for this is a very charmful book indeed. It was not only super intThe (original German) title nails it: Darm mit Charme (charmful gut / gut's charm), for this is a very charmful book indeed. It was not only super interesting and helpful, giving the reader lots and lots of insights of what is really going on down there, below the stomach area, you know, in this bundle of intestines that somehow transforms food into, well, poop. But that's not all it does by far - and even though we know about some of the gut's extra powers, might have read or heard about its inhabitants who keep the flora in peace, abouts its intelligence and about its super powers to fight diseases, we (well, at least I) don't really dwell too much on these informations. Because hey, there's the shiny brain with its super intellectual powers, there's the heart keeping up the beat, there's the skin that needs its treatment - but the gut? Ah well, toilet talk.
And this is where Giulia Enders enters. Not only does she present this awesome amount of interesting information, it's also how she does it. The charming part. Her writing is adorable, not in the "lemme tell you about poo poo, twinkie winke"-childish nonsense kind of way, but in a way that is respecful yet close to the subject... and full of love. What I mean is: Her adoration and awe of the gut shines through on every page, in almost every word, and it totally took me over. I loved her style, all the little tidbits, the often sweet and/or funny comments. That, combined with the wonderful illustrations contributed by her sister made this book a very special treat for me.
Plus, it told me about the sea squirt, an animal whose only goal in life it is to find a place to settle down forever. And once it found it and settled in, it eats its own brain, for that organ is no longer neeeded. Oh, sea squirt - maybe you were right all along?...more