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Profile Image for Sarah Sophie.
224 reviews242 followers
March 22, 2022
Ein sehr feministisch geprägter Roman, der viele Fragen aufwirft, ganz klar Stellung bezieht und schmerzhaft die eigenen Gedanken seziert..
Wie gewohnt nimmt Mareike Fallwickl kein Blatt vor den Mund, allerdings ist diese Geschichte und ihr Ton anders, als bei den beiden Vorgängern. Weniger "rotzig" und frech, dafür intimer, wütender und er packt Frau tief im Inneren und rüttelt an Wertvorstellungen und Rollenbildern.
Im Zentrum der Geschichte stehen 2 Frauen. Sarah, 40 und Lola, 15. Beide verlieren mit dem Tod von Helene ihre Bezugsperson und müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, ob sie den Freitod ihrer besten Freundin und Mutter hätten verhindern können. Helene ist gescheitert.. am System.. getriggert durch die Auswirkungen der Pandemie.
Sarah und Lola müssen sich selbst hinterfragen, sich emanzipieren und verändern sich dabei in ihrem jeweils eigenen Tempo.
Ich habe mich sehr mit Sarah identifizieren können. Ich fand es sehr nachfühlbar wie sie aus festen Gedankenmustern versucht auszubrechen, in kleinen Schritten ihre Stimme als Frau in ihrer Umgebung und in der Gesellschaft zu finden versucht. Nur langsam erkennt sie die Mißstände und versucht zögerlich diese aufzudecken.
Dagegen ist Lola sehr radikal und ich konnte mit ihren Aktivitäten ( die ich nicht näher beschreiben kann ohne zu spoilern) nicht mitgehen. Sie war mir einfach einen Tick zu radikal.
Welcher Gedanke mich nachhaltig beeindruckt ist folgender: Frauen sollten füreinander nichts als schwesterliche Liebe empfinden.. schmeißt die ständigen Vergleiche und das Konkurrenzdenken über Bord und schaut einander nachsichtig und liebevoll als Schwestern im Geiste an!
Profile Image for Max.
238 reviews441 followers
July 21, 2022
Ich werde jetzt erstmal ein paar Rezensionen lesen und angucken, derer ich habhaft werden kann. Die großen Literaturshows haben darüber leider noch nicht gesprochen, sehr sehr schade, ich würde ja gerne der Diskussion von Scheck und Wilke dazu lauschen.
Ich bin confused und kann nicht so recht believen, dass Gewalt, Vorverurteilung und Sexismus den advanced freshen Feminismus 2022 auszeichnen sollen. Aber what do you know, Penis-Boomer!

Helene begeht Suizid und hinterlässt drei Kinder und einen Ehemann. Die Gesellschaft habe sie kaputt gemacht, vermuten Tochter Lola und Freundin Sarah, die bald für Helene einspringen und den Schmerz des Verlusts verarbeiten müssen. Sarah, kinderlos, wird die Mutterstelle für die beiden kleinen Söhne übernehmen, Lola wird einen aktiven Feminismus übernehmen.

Es ist mein erster Roman von Fallwickl. Ich schätze feministische Literatur sehr, ob historische oder aktuelle. Besonders Anke Stellings Geschichten mag ich. Es gefällt mir, wenn Texte den ungleichen sozialen Bedingungen und Chancen von Männern und Frauen nachspüren, ich weiß um die lösende Kraft von Provokationen in Satzform. Es gefällt mir, wenn Autorinnen, die klüger und lebenserfahrener sind als ich, meinen eigenen Sexismus herausstellen, so dass ich beim Lesen kleiner werde. Mich aber danach ändern kann, weil ich etwas verstanden habe, weil mir etwas verdeutlicht wurde. Das mag ich.

Unsere Gesellschaft ist sexistisch. Das ist sie.
Zuletzt habe ich in den Kommentaren auf meinem YT-Kanal mit jemandem diskutiert. Als ich ihm -es war natürlich ein Mann- am Ende der Diskussion nicht sagen konnte, was er hören wollte, nämlich warum die gegenwärtige Literatur „degeneriert“ sei, da hat er geschrieben, ich solle „ein Tampon in meine Muschi schieben“. Im Jahr 2022 ist die max(imale) Beleidigung für einen Mann, er sei eine Frau. Unsere Gesellschaft ist sexistisch. Wir müssen für diese Erkenntnis nicht die Gehalts-Unterschiede analysieren. Ein Blick in die unmittelbare Umgebung reicht.

Ich bin sexistisch. Das bin ich. Leider.
Zuletzt habe ich einen schönen Tag mit meiner Schwester und mit meiner Baby-Nichte Pauli verbracht. Weil Pauli braune Sachen trug, sagten Fremde, „er“ sei ein süßes Baby. Als wir dann wieder unter uns waren, habe ich meine Schwester gefragt, warum die Leute denn nicht sehen würden, dass Pauli ein Mädchen sei. Die Wimpern seien doch mädchenhaft lang. Meine Schwester hat mich einfach nur angegrinst und gesagt: „Wirklich?“ Zu Hause habe ich im Internet nachgeguckt und festgestellt, dass es keinerlei Beziehung zwischen Wimpernlänge und Geschlecht gibt. So bin ich aber aufgewachsen: Männer sind so. Frauen sind so. Sexistisch. Leider.

Natürlich sind das anekdotische Ereignisse. Natürlich wähle ich für meinen eigenen Sexismus eine letztlich harmlose Unwissenheit. Ich könnte euch andere Dinge erzählen: Was ich einer Exfreundin in der Wut an den Kopf geworfen habe, wie Alex und ich die Elternzeit aufgeteilt haben. Aber ich glaube, ihr habt verstanden: Ich weiß, dass Sexismus existiert und ein Problem darstellt. Meine direkte Lösung ist es meist, offen für Erläuterungen zu sein. Erklärungen durch Autorinnen und Autoren (auch viele Männer sind große Feministen), meine Schwester oder Alex. Vielleicht muss ich manchmal darauf hoffe, dass mein Sexismus akzeptiert wird, weil wir alle geprägt sind durch die Erziehung und Erlebnisse der Vergangenheit. Und weil sich Werte ändern können. Weil wir Fehler machen.

Natürlich lebt jeder von uns im Feminismus, jeder hat seine feministischen Erfahrungen gemacht. Ich könnte euch von meiner coolen Mutter erzählen, die alleinerziehend und arbeitend zwei Kinder großgezogen hat, die mir als Jugendlichem den Lappen in die Hand gedrückt hat und mir befohlen hat, das Klo zu putzen. Meine Schwester stand in der Zeit im Wohnzimmer und hat die Dübellöcher für den Schrank in die Wand gebohrt.
Anekdotisch, klar. Aber wir alle leben im Feminismus, er gehört zu Deutschland wie der Islam, und das ist auch gut so.

Was ist der Feminismus? Ich weiß es nicht mit Bestimmtheit. Er verändert sich, hat Variationen und zeittypische Schwerpunkte. Ein Teil seines Erfolgs liegt in seiner Anpassungsfähigkeit bei stabilem Kern. Aber ich vermute, die „grundlegende gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Gleichberechtigung der Frau gegenüber dem Mann“ dürfte eine Wortsammlung sein, die nicht ganz verkehrt ist und dem – eigentlich ja einfachen – Anliegen nahekommt.

Was ich gelernt habe durch Fallwickls Roman „Die Wut, die bleibt“, ist der Umstand, dass es einen modernen Feminismus gibt, der den Weg der letzten 70 Jahre als kraftlos und erfolglos sieht. Es gab nie einen richtigen Kampf, der beginnt jetzt. Denn Lola, die 15jährige Tochter, wird Sarah als Stellvertreterin einer älteren Generation erklären, dass nun endlich neue Zeiten des Frauenkampfes anbrechen.
Ist das denn notwendig?

Ja, absolut! Denn Marlene hat sich umgebracht, weil im lieblos hingeklatschten Satz des Ehemanns, „Haben wir kein Salz?“, alles steckt, was in dieser Ehe und in diesem Mutterleben falsch läuft:
Gib mir Salz! Bist du zu blöd, das Salz auf den Tisch zu stellen? Ich stehe nicht auf, um meinen Wunsch zu befriedigen. Es enttäuscht mich, mit dir verheiratet zu sein.
Aus den 4 Seiten der Kommunikation sieht Helene nur einen Fluchtweg – nach unten. Sie stürzt sich vom Balkon.
Das ist ein starker Beginn und es geht stark weiter: Nach der Beerdigung wird sich Sarah breitschlagen lassen, den Haushalt und die Kinderpflege zu übernehmen. Die Frau, die keine Kinder hat, und mit ihrem verantwortungslosen Loverboy Leon wohl auch keine haben wird, versinkt bald im Chaos der Mutterschaft. Das ist ein cleverer Kniff von Fallwickl: Weil Sarah ganz plötzlich alles übernehmen muss, prasselt die unglaubliche Fülle der Aufgaben auf sie wie auf den Leser ein. Dass man das alles nicht alleine schaffen kann, fühlt man als Leser richtig mit. Toll! (Rückblickend habe ich den Eindruck, dass diese wenigen Stellen - die detaillierten, tagesgenauen Beschreibungen der Überforderung Sarahs - die besten des Buches waren und ich es hier hätte zuklappen können: 4 Sterne. Aber leider kommen noch 200 Seiten.)

Fallwickls Stil und Erzählweise unterstützen in diesem ersten Abschnitt die Geschichte der überforderten Sarah. Denn in einer bedrückt-bedrückenden Innenschau lotet sie die Psyche ihrer Protagonistin Sarah aus, die bald nicht mehr kann und Unterstützung von Helenes Ehemann Johannes braucht. Aber der hilft nicht. Und hier beginnt das Problem:

Fallwickls Ehebild ist ein Klischeebild, das bis zum Schluss keine Variation erhält, keine Veränderung. Johannes zieht sich aus jeder Pflicht, er kann im Haushalt keinen Schritt unternehmen, ohne das Chaos zu vergrößern, er kümmert sich nicht um die Kinder, schützt seine Arbeit vor, um abzuhauen. Eine Kommunikation findet nicht statt. Wer sich über das Ausbleiben der Kommunikation zwischen Sarah und Johannes (oder Helene und Johannes) nicht wundert, projiziert vielleicht schon eigene Erfahrungen in den Roman und ist ab diesem Zeitpunkt vermutlich schon restlos vom Buch überzeugt. Mein Problem beginnt hier allerdings erst.

Johannes ist nicht der einzige Mann, der ein Pappkamerad bleibt: Leon ist ein heißes Sexmonster, das den Intellekt eines Dildos hat, den Sarah nicht mehr braucht. Er ist dumm, reagiert grundsätzlich idiotisch und übergriffig. Lolas Erzeuger schickt nur Geld, um sein Gewissen zu beruhigen und ist ein Arschloch. Es gibt noch einen Direktor, der ein fauler Beamtenarsch ist.  Die Männerfiguren sind hanebüchen, sind peinlich schlecht gezeichnet. Es ist mir unverständlich, wie Fallwickl sich dafür hergeben kann, diese Männer aufzubauen. Das ist Wettbewerbsverzerrung, Betrug! Natürlich sind das totale Saftsäcke, natürlich bringen die nichts zustande. Aber auch ich kann mich hinsetzen und EINERSEITS einen komplexen und realistischen Mann beschreiben, mit all seinen Wünschen und Widersprüchen etc. und ANDERERSEITS beschreibe ich eine Nazi-Hexe. Und dann lasse ich die zusammenwohnen und gucke mal, was passiert. WOW!

Das Buch ist selbstgerecht, es bewertet mit zweierlei Maß, was aber niemand zu bemerken scheint. Warum bemerkt das fast niemand? Ja, Sarahs häusliche Überforderung ist massiv, aber sie ist auch extrem konstruiert und Johannes ist eine Pappfigur. Aber das ist nicht das Schlimmste.
Sarah und Lola beziehen sämtliche Unsicherheiten, zum Beispiel körperliche Unzufriedenheiten, auf den Druck durch die patriarchalische Gesellschaft. Dass Sarah Angst hat, dick zu werden, alt zu werden, hässlich zu werden, liegt also an Leon. Dass Leon einen Haufen Energiedrinks im Kühlschrank lagert, liegt daran, dass er Sarah keinen Platz für deren mögliches Essen geben möchte.
Sie kann zu Haue auch keine Jogginghose tragen, weil Leon das nicht sexy fände, und dann wäre er vllt. Weg, der heiße Stecher und mögliche Vater der Kinder. Denn Kinder, genau das will Sarah. Und dafür lebt sie halt zu Haue wie im Gefängnis und externalisiert permanent ihre Unsicherheiten.
Und weil die Schuldzuweisung an die Männer vielleicht noch nicht deutlich genug war, folgen nun immer wieder eingeschobene Belehrungen über die -Ismen und Phobien der Gegenwart, unter denen die Frauen zu leiden haben. Lola, der diese Belehrungen in den Mund gelegt werden, ist so sympathisch wie Hermine Granger in ihren düstersten Momenten. Nur viel viel viel schlimmer.

Die Männer sind übrigens natürlich attraktiv, wachen auf und sind sexy verstrubbelt, sind schlank und müssen sich keine Gedanken um ihr Äußeres machen. HAHAHA! Was für ein Unfug! Dieses Ding mit dem Hübschseinwollen sei also eine reine weibliche Angelegenheit. Pssst, absolut, überhaupt gar nicht, ich und Millionen Männer stylen sich ausgiebig. Als meine Haare mit 18 ausfielen und sich riesige Geheimratsecken bildeten, saß ich auf dem Badezimmerboden und habe geheult. Als ich 20 Kilo zunahm, habe ich sämtliche mentale Phasen der Verspannung durchlaufen, die Sarah vermutlich auch durchlaufen würde, wenn ihre Psyche nicht nur ein oberflächliches Sammelsurium der "Psychologie Heute" wäre. Diese scheiße Ideale im Kopf sind völlig unabhängig vom Geschlecht. Dieser Sexismus ist unglaublich nervig!

Ich kann mir kaum eine Frau vorstellen, die im Zusammenleben so devot handelt wie Sarah und kaum einen Mann, der so strunzdumm wäre wie Leon. Die Beschreibung dieses Paares hat mich an seichteste Arztromane erinnert. (Ja, ich habe mal einen gelesen, Recherche sozusagen.)

Zur Einschulung eines der Kinder heißt es:
"Drei, vier Väter sind anwesend, stechen heraus in ihrer Vereinzelung, haben so ein selbstgefälliges Grinsen, das Sarah sauer aufstößt. Ansonsten nur Mamas."

Wollen wir uns die Struktur dieser Beschreibung von männlicher Kinderbetreuung mal genauer ansehen? Also: Männer kümmern sich nicht, weil sie egoistische Arschlöcher sind. Wenn sich Männer dann aber doch mal kümmern, sind sie "selbstgefällige" Arschlöcher, weil sie es nur aus Egoismus tun. So kann man sich sein Gesellschaftsbild auch aufbauen. (Genau dieses Argumentationsmuster hat mich übrigens zuletzt im Buch von Ahmad Mansour auf die Palme gebracht. Hier nicht weniger.)

Auch zum Thema der Gewalt gegen Frauen hat das Buch etwas zu sagen:
„Die Männer gehen locker, glauben: Sie sind die Angreifer. Nicht die Angegriffenen."
Was glaubt ihr, wie oft ich nachts voller Furcht und Vorsicht durch Neuperlach, Halle-Neustadt oder den Wedding gegangen, wie oft ich vor grölenden Männergruppen in Seitenstraßen ausgewichen bin, wie oft ich nachts ein gegröltes "Schwuchtel" oder "Hurensohn" runterschlucken musste? Wer ist hauptsächlich von männlicher Gewalt betroffen?
Natürlich sind auch Frauen betroffen und ich muss euch nicht sagen, wie schlimm das ist! Die Statistik für Deutschland im Jahr 2020 sowohl für Morde wie für Körperverletzung zeigt jedoch, dass Männer 70% bis 80% der Opfer ausmachen. Will mir Frau Fallwickl ehrlich erklären, dass Männer keine Angst haben müssen? Das ist doch genauso eine Form des Shamings! Brave-Shaming. Ein Mann darf nachts allein im Stadtpark keine Angst haben? Natürlich haben das viele Männer!
Natürlich sind besoffene, im Pulk torkelnde Yakuza-Atzen unangenehm, egal, ob ich einen Schniedel oder eine Vulva habe, meine Güte!

So, aber natürlich weiß Fallwickl, dass Sarah nicht modern und feministisch handelt und daher tritt nun Lola auf den Plan. Lola entwickelt sich zu einem emanzipierten Mädchen, das ihre Körperunsicherheiten und ihre Autoaggression ablegt. Sie wird sich durch Bücher zum Thema Feminismus, Queersein, Wokesein etc. weiterbilden, sie wird Kampfsport machen, viele Kilos zulegen und mit drei Freundinnen Männer überfallen und zusammenschlagen. Diese Gewalttaten sind durch Gerüchte und Hörensagen motiviert, Lola und die anderen brechen Kiefer, ritzen Wangen auf, weil sie vermuten, dass irgendetwas vorgefallen ist. Besonders deutlich wird das am Beispiel eines alten Lehrers, zu dessen Vorgeschichte wirklich gar nichts bekannt ist, was die Gang aber nicht davon abhält, ihn zu überfallen, sodass er einen Anfall erleidet und eventuell stirbt. Und weil das Buch ja irgendeine Begründung braucht, heißt es, dieser Lehrer sei sicher irgendwie abstrakt involviert in das Leben eines Mädchens, das unglücklich geworden sei. (Ich hoffe, ihr seid beeindruckt wie ich, der Büchner-Preis ist nahe!) Natürlich hat er Kinder zum Heulen gebracht, er ist Physiklehrer! Dann wünsche ich mir aber fairerweise bitte auch die Ausrottung sämtlicher Verkäufer im Einzelhandel und an Tankstellen, weil ich bei den Preisen mittlerweile auch leide!

Diese Rächerepisoden der kahlrasierten, aufgepumpten jungen Frauen könnten lustig sein wie Tarantinos Filme oder historisch eingebettet in die Geschichte von Edith Garrud, die den englischen Suffragetten ab 1909 Jui-Jitsu beibrachte. Aber diese Szenen sind – wie fast das ganze Buch – in so einem bedeutungsschwangeren Stil der innerlichen Ausnahmesituation verfasst, dass hier nichts ironisch ist.

Lola wird dann auch noch ihre Sportlehrerin würgen, weil die ihren Job macht und dafür sorgen muss, dass die anderen Mädchen nicht durch Lola genervt werden. Sarah stellt sich nun völlig unmotiviert auf Lolas Seite, weil „die Schule ja schon immer falsch gewesen sei“. Boah, Alter! Was ist das denn für ein Niveau. Wieso ist denn jetzt plötzlich Gewalt, die Ablehnung von demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien ein Zeichen von Feminismus? Mich irritiert so hart, dass ein Buch, das alle Themen des Zeitgeists brav abhakt, ausufernde Gewalt und Vorverurteilungen völlig ironiefrei verwenden kann. Das stört den Leser offenbar nicht, wenn die Zugehörigkeit zum Zeitgeist ihm versichert, dass das Buch schon auf der richtigen Seite stehe. Dann kannst du offenbar Menschen foltern und liquidieren, Ottonormal-Leser und Annanormal-Leserin finden es fair.
Gib diesen Lesern aber jetzt Meisterwerke der sublimen Gewalt, "Das Herz der Finsternis" oder "Lolita", Werke, in denen es um die Manipulation unserer Werte geht, und sie werden sich über diese Werke entrüsten!

Ich glaube, ich irritiere euch nicht mehr, wenn ich ergänze, dass Lola zuvor ihren einstigen Schwarm in der Umkleidekabine sexuell belästigt und mobbt. Warum? An dieser Stelle muss ich -auch wenn es mir seelisch weh tut – diese furchtbare Mantra des Buches wiederholen: Wir tun das für alle Frauen, für alle Frauen, die waren und sein werden. Weil alle Frauen unter den Männern leiden.
Dieser dauerpathetische Ton geht irgendwann wie Nieselregen auf den Leser herab. Man wünscht sich, dass Fallwickl auch mal ablassen könnte von diesem sensiblen Befindlichkeitsstil, der alle Szenen gefühlig einbreit. Irgendwann werden dann auch zu viele englische Vokabeln in den Text gestreut und es fühlt sich an, als hätte die Autorin zu viel Zeit auf Insta und Twitter verbracht, um herauszufinden, was "authentische" Kids mit twenty-twentyone heute so wegtalken. Klappt semi, Diggi!

Häh? Haben hier alle Klebstoff geschnüffelt? Wieso ist dieses Buch voller oberflächlicher Charaktere und abstoßender Selbstjustiz und sexistischer Zeichnung der Männerfiguren so beliebt? Was soll das denn bitte?

Wisst ihr, was Fallwickls Buch jetzt antworten würde? „Dennoch verlässt er sich auf den Pimmel, der ihm zwischen den Beinen baumelt.“ Ja geil, wenn das die einzige Antwort auf jeden Einwand eines Mannes ist  Top, läuft bei dir!

Ein Extra-Punkt, weil ich mich so tierisch aufrege und das ist ja auch selten der Fall. ;-) Und der erste Teil zu Sarah hat mich auch erschüttert.

Dieses Buch macht einen - in meinen Augen - gravierenden Fehler. Es fordert die Spaltung der Gesellschaft, die es selbst zuvor verzerrt, völlig verkürzt und selbstgerecht dargestellt hat. Damit fehlt ihm, was großer Literatur niemals fehlt: Aufrichtigkeit, Selbstkritik, Wärme gegenüber dem Menschlichen.
Dass hier ein Graben in der Gesellschaft aufgerissen werden soll, finde ich unangenehm. Ich werde weiterhin mit Männern und Frauen zusammenarbeiten.
Profile Image for Elena.
887 reviews341 followers
May 5, 2022
"[...] und Lola fragt sich, wie es wäre auf dieser Welt, wenn die Männer die Frauen in Ruhe ließen. Nicht nur in körperlicher Hinsicht, dass sie sie nicht bedrängen, angreifen, vergewaltigen würden, sondern generell, in allem. Wenn es keinen Lookismus gäbe und kein Slutshaming und keine Heteronormativität. Nur Liebe. Verständnis. Zusammengehörigkeit. Wenn Frauen unbehelligt von Männern leben könnten, wie würden sie leben?" - Mareike Fallwickl, "Die Wut, die bleibt"

Es ist Anfang 2021, Österreich steckt mal wieder in einem Lockdown. Helene sitzt zu Hause mit ihren drei Kindern fest, ihren Job musste sie kündigen, zu viel ist zu Hause zu tun und zu wenig Hilfe bekommt sie dabei vom Ehemann/der Gesellschaft/vom Staat. Sie sieht keinen Ausweg - bis sie ihn dann eines Abends beim Abendessen doch findet. Sie steht auf, öffnet die Balkontür und lässt sich fallen, 15 Stockwerke in den Tod. Zurück bleiben ihre Familie und ihre beste Freundin Sarah, die sich nach Helenes Suizid um die Kinder kümmert - und nach und nach begreift, mit welcher Last Helene als Mutter zu kämpfen hatte.

"Die Wut, die bleibt" - wie passend, wie überaus zutreffend dieser Titel ist. Denn ja, die Wut nach dem Lesen, sie bleibt. Sie war schon vorher da, wurde aber durch diesen krassen, wuchtigen und so realitätsnahen Roman vervielfacht, präzisiert und geschärft. Mareike Fallwickl vereint in ihrem dritten Roman Feminismus mit Fiktion, sie erzählt vom bitteren Alltag, den weiblich gelesene Personen und allen voran Mütter bewältigen müssen, von (sexualisierter) Gewalt, Mental Load, ungleich verteilter Care-Arbeit - kurz: dem Patriarchat. Dabei weicht sie keinen Millimeter zurück, ihr Buch besteht nur aus roher Wut und genau so muss es auch sein!

Dieser Roman wurde gebraucht. Er ist unbequem, tut weh, macht das Herz schwer und schürt die Wut - er befreit aber auch. Er befreit durch die Wut und Gewalt, die sich durch Lolas Radikalisierung umkehrt. Er befreit durch die Generationenkonflikte zwischen Lola und Sarah, in denen ich mich so oft wiederfinden konnte und die am Ende doch sowas wie gelöst werden. Er befreit, weil er den Finger in so viele Wunden legt, ausspricht, was ich so oft nur denken kann und mir Identifikationsfiguren gibt.

"Die Wut, die bleibt" ist hochaktuell, notwendig - und ich danke Mareike Fallwickl so sehr, dass sie uns diesen Roman an die Hand gibt, dass sie in Worte fasst, was oft nur schweigend hingenommen wird. Mein nächster Schritt: Das Buch meiner Mama und der Partnerin meines Bruders in die Hand drücken. Und darauf hinarbeiten, dass auch mein Partner diesen Roman liest, damit diese Wut eben nicht nur bei mir bleibt.

Eindringlich, radikal, sprachlich unglaublich gewandt, wachrüttelnd und empowernd - Mareike Fallwickl in Höchstform!
Profile Image for Elisa.
168 reviews
May 13, 2022
Ich bin ein bisschen sprachlos und entsetzt. Warum finden so viele Leute das Buch so gut? Es werden sehr viele sehr wichtige gesellschaftskritische Themen aufgegriffen (allerdings so viele, dass es einem schon wieder ein wenig „konstruiert“ vorkommt). Mein Problem damit war der Umgang. Wenn eine Mädchengruppe sich gegen das Patriarchat wehren will, wird es hier als in Ordnung dargestellt, wenn sie Männer stalken (!), auflauern, bei ihnen einbrechen und sie zusammenschlagen (und schlimmeres). Wtf, was habe ich da gelesen? Die eine Hauptperson wurde in einem Part sexuell belästigt (was natürlich nicht in Ordnung ist, keine Frage!), im Gegenzug wird sie aber als mutig und feministisch dargestellt, als sie daraufhin den Typ sexuell belästigt. Wie kann man das denn gut heißen? Generell findet hier ständig eine Opfer-Täter-Umkehr statt; immer, wenn eine Frau dann einem Mann etwas antut, ist das super und sie emanzipiert. What?
Die Lehrerin hat in der Schule einen negativen Kommentar zur Figur der Hauptperson abgegeben (was natürlich ebenfalls nicht in Ordnung ist!), worauf hin die Hauptperson die Lehrerin würgt. Anschließend wird klargestellt, dass solch ein Verhalten (das Würgen!!) keine Konsequenzen haben sollte, da „das System an allem schuld ist“. Bitte?
Im ganzen Buch existiert außerdem kein Mann, der kein Arschloch ist. In einer anderen Rezension las ich etwas von wegen „Das Buch ist eine Hasspredigt an Männern unter dem Deckmantel des Feminismus“ und das trifft es wirklich gut.
Das Buch lässt mich also wütend zurück, was ja scheinbar die Intention der Autorin ist, jedoch nicht wütend auf das System, sondern wütend auf den Umgang der Autorin mit diesen Themen. Denn die sind wichtig, keine Frage, aber.. wtf? Mir fehlen echt die Worte.
Der Schreibstil war aber an sich gut und die beiden Sprecherinnen des Hörbuchs fand ich toll!
Profile Image for Herz auf der  Zunge.
135 reviews55 followers
June 27, 2022
4,5 Sterne
Ein krasses Buch, das wirklich sehr sehr viele Anregungen zum Nachdenken gibt
Profile Image for Babywave.
251 reviews112 followers
May 31, 2022
Knaller….. Ich habe dieses Buch teilweise verschlungen und teilweise musste ich pausieren, da es sehr berührend, ehrlich und sehr traurig war.

Helene, die sich gleich zu Beginn des Buches das Leben nimmt, hat 3 Kinder. 2 davon zusammen mit ihrem aktuellen Lebenspartner und eine 15-jährige Tochter, zu deren Vater sie keinen Kontakt mehr hat.
Nach dem Tod Helenes unterstützt Sarah, die beste Freundin von Helene, die Familie.

Jedoch fällt sie aus der Unterstützerrolle in die Rolle der nahezu Alleinerziehenden.
Sarah hat selbst keine Kinder und kümmert sich nun Vollzeit um den Haushalt und die Kindererziehung.

Mareike Fallwickl beschreibt den Mama- Alltag so intensiv, nachvollziehbar und real, dass ich oft und heftig beim Lesen mit dem Kopf nicken musste.

Dieses Buch ist sozusagen ein feministischer Pandemie- und Entwicklungsroman. Es geht um die Erwartungen Frauen gegenüber. Um die Erziehung von Mädchen innerhalb der Gesellschaft. Um das Freimachen von vorbestimmten Rollenbildern und um dass Unangepasstsein. Aber auch Gewalt innerhalb von Beziehungen spielt eine Rolle. Außerdem wird nochmal ganz klar hervorgehoben, was die Pandemie mit Müttern aber auch Jugendlichen gemacht hat.

Ich mochte die Sprache und fand es großartig, dass durch Lola und ihre Freundinnen die ganze Last und Wut transportiert wurde, die Frauen oft in sich tragen aber , wenn überhaupt, nur sehr subtil nach außen tragen. Lola ist ein intelligentes Mädchen, welches durch den Suizid ihrer Mutter nun noch tausendfach verstärkt auf das gesellschaftliche Frauenbild reagiert….. Mich hat die Aggressivität, die hier beschrieben wird, wirklich erschreckt. Aber ich habe es ein wenig mit dem Bild eines gepeinigten Tieres verglichen. Einmal in Freiheit, gibt es kein Halten mehr und der ganze Zorn, die Schmerzen entladen sich. Meiner Meinung nach hat Mareike Fallwickl das großartig umgesetzt.

Man könnte zu diesem Buch noch sehr sehr viel mehr schreiben und manches auch kritisch diskutieren. Aber dieses Buch ist einfach wie der Finger in der Wunde.

Eine absolute Empfehlung und sehr gut auf den Punkt gebracht👍🏻.


This entire review has been hidden because of spoilers.
Profile Image for Anna Carina S..
580 reviews197 followers
July 21, 2022
2,5⭐️
Autsch, das Buch lässt mich jetzt recht ratlos zurück.
Der Schreibstil von Frau Fallwickl ist sehr süffig und befeuert sämtliche Neuronen. Das Buch liest sich wech wie nix.
Folgende Schlagwörter machen den Roman für mich aus:
sozialer Kodex, Erwartungshaltung, verschiedene Formen des Feminismus, Absolutismen, Wut, Selbstermächtigung, Selbstjustiz, destruktiv, Fehler im System, Passivität, Opferrolle, Ohnmacht, Strategielosigkeit, Konkurrenzdenken, Carearbeit, Reue Kinder bekommen zu haben, Performance

Das gefiel mir gut:
*gute Skizzierung des Konkurrenzdenken der Frauen *wie gefährlich Passivität ist, wenn selbst die beste Freundin froh ist, dass die Freundin aufhört zu jammern - „ Helene war mit jedem Monat der Pandemie stiller geworden, Sarah war froh drum“ * wie problematisch Sprachlosigkeit ist, wenn Menschen keine Strategie haben * wie der Alltag mit Kindern geschildert wird * dass das Wissen durch Internet einen großen Schub in der Bildung bringt und ältere Generationen dies als respektlos ansehen, wenn sie korrigiert und konfrontiert werden und hier ein Umdenken statt finden muss: Die Jungen haben etwas zu sagen und das könnte weiser sein, als das was ich so von mir gebe

Ich habe folgendes Problem:
Die ersten 20-25% lasen sich für mich wie eine Groteske. Es ist sehr schnell klar, alle Figuren sind völlig überspitzt, nahezu absurd gezeichnet. Absurd passiv, absurd ihrem Klischee entsprechend, absurd sich in den sozialen Kodex fügend. Insbesondere durch die Figur von Sarah, dachte ich, dass sie uns die destruktiven Seiten des Feminismus aufzeigen will. Eine Frau, die in Kategorien denkt, meint sich irgendwelchen Wertesystemen fügen zu müssen, die zu Absolutismen und furchtbaren Verallgemeinerungen neigt, mit einer klaren Erwartungshaltung an Diskussionen/Konfrontationen geht und permanent Unterstellungen macht. Und damit mitverantwortlich für diese unsägliche Beziehung zu ihrem hübschen Instagramhelden und Mr. „ich keine deine Muschi besser als Du selbst“ ist. Sarah ist Eine Frau die furchtbar larmoyant daher kommt.
Dann kommt so eine Szene, in der sich sich über ihre schmerzenden Brüste beschwert (Körbchengröße D) und man ja trotz Sport BH da nix dran machen könne, das alles wackelt und reißt (schmerzt) beim Joggen. Mit diesem Gedanken schlägt sie dann den Bogen, dass Männer nicht wissen wie so etwas ist und sie nie die Last der Erwartungen tragen müssten, die ihr überall begegnet. „So etwas kann doch niemand ernsthaft so meinen, ohne sich lächerlich zu machen“, sagte ich noch zu mir. „Kauf dir nen guten Shock Absorber Sport BH und hör auf mich mit deiner Unfähigkeit vollzusülzen“.
(Anmerkung: ich kenne das Phänomen groooooßer Brüste in Verbindung mit Sport und jaaaa, es gibt gute Bekleidung die das wackel, aua aua Problem löst)
Das Gefühl der Ironie bestätigte sich dann, als Sarah von der gemeinsamen Studienzeit mit Helene berichtet und man ein Poster von Susan Sontag in der Wohnung hatte. Ha, guter Schachzug Frau Fallwickl. Ausgerechnet diese Frau zu nehmen, die sich aus jeglicher Konvention befreit hat, die für Selbstbestimmung, Unangepasstheit und Freiheit steht, nie eine Konfrontation gescheut hat – diese Frau steht für all das was Sarah und Helene sein wollten und mit 2 unterschiedlichen Lebenswegen nie waren- sogar zum kompletten Gegenteil sich entwickelten. Wenn das mal keine Absurdität des Lebens ist!
Die andere Figur, Lola (Tochter Helenes, die sich vom Balkon gestürzt hat) stellt die nächste übertriebene Figur des Romans dar. Erklärt uns erst mal den Begriff „Woke“, und ich so: „ ….nicht alles hinnehmen das ungerecht ist…. Soso, hat in Hinblick auf Deine Mutter ja toll funktioniert “
Ich hielt weiter an meiner These der Groteske fest. Da kommt mir direkt ein anderes Buch in den Sinn: Sich woke über allen Mist aufregen, ua. dass viele Hosen für Frauen ohne Hosentaschen ausgestattet seien und darin das Patriarchat erkennen wollen, die Debatte damit völlig verzerren, ad absurdum führen und sämtliche Konstruktivität damit untergraben.
Nu ja, Lola ist die Gegenfigur zu Sarah. Lola begehrt auf und sieht ihre Ohnmacht gegenüber männlicher Dominanz und Gewalt in Gegengewalt. Frei nach dem Motto „ Immer mitten in die Fresse rein“.
Gekrönt wird das Ganze mit dem passiven Statisten, dem Ehemann der Verstorbenen, der sich mal schön den Arsch nachtragen lässt und immer nur sein Business im Kopf hat.
Das kann ein gutes Stilmittel sein, die größten Klischees auf die Spitze zu treiben, die Figuren als Pappkamaraden rumzappeln zu lassen, aber, dann sollte dies als Groteske, Satire erkennbar sein. Das ist es nicht. Jaja, ich sagte zuvor etwas anderes. Damit kommen wir zu meinem Problem:
das groteske Bild, gestaltet sich als ernsthafte Abarbeitung der Autorin. Desto weiter wir in der Geschichte vorrücken, je klarer wird: Das meint sie genauso, mit all dieser destruktiven Energie, die das Buch verströmt.
Natürlich trifft sie viele Punkte, die ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem darstellen. Auch der Fehler im System wird sehr gut herausgeschält.
Frau Fallwickl wollte über die Wut schreiben: Wut ist in der Regel, wenn sie zu lange unterdrückt wurde destruktiv, verengt den Blickwinkel. Das hat sie uns mit dem Beispiel von Sarah und Lola gegeben. Wut fordert zu Veränderungen auf. Ja, auch diese passieren zum Schluss.
Das Frau Fallwickl nicht nochmal explizit herausstellt, dass es kein Recht im Unrecht gibt, mag man verstörend finden. Ich habe es als Ausdruck extemster Form der Hilflosigkeit der Protagonisten gelesen.
Sie ist hier nur sehr inkonsistent. Sehr viele Szenen sind völlig konstruiert (ich denke insbesondere an die Sportlehrerin), damit ihre Message so richtig reinballert wie gedacht oder mit dem Holzhammer so derbe anklagend, ins pathetische abrutschend, eindeutig zugeordnet, damit auch der letzte Hinterwältler rafft : Jaaa, Männer sind Schweine und zwar ALLEEE! Und ausgerechnet diese Gewalt wird so stehen gelassen, nur ganz dezent in Eigenreflektion Lolas hinterfragt.
Hierzu mal eine Einordnung, was Frau Fallwickl in einem Interview dazu sagt:
„Lola und ihre Freundin sind der zweite Erzählstrang. Sie verweigern sich den traditionellen Rollenerwartungen total, trainieren Kampfsport und greifen zu Gewalt, um sich zu wehren, wenn Frauen angegriffen werden. 
In all diesen Diskussionen, die wir jemals führen können über Männer und Frauen, über die Unterschiede und warum Frauen eigentlich unterdrückt sind, wird uns immer ein Totschlagargument entgegengeschleudert, das alles beenden soll: Am Ende des Tages sind Männer einfach körperlich überlegen. Ich wollte diesen Satz aufgreifen und ihn umdrehen: Was ist, wenn der nicht mehr stimmt? Was passiert dann? Wenn es vier Jungs wären, die im Park irgendjemanden in die Fresse hauen, fänden wir es ganz normal. Plötzlich sind hier die Männer diejenigen, die nachts durch die dunkle Gasse gehen und sich in einer bedrohlichen Situation befinden. Das sind wir nicht gewohnt. Und so spielt das Buch natürlich mit all diesen Rollenzuschreibungen und Erwartungshaltungen, in dem es sie komplett umdreht."
Quelle: https://www.br.de/kultur/buch/mareike...


Soso, ich finde es überhaupt nicht normal, wenn irgendwer, irgendwem auf die Fresse haut, Frau Fallwickl!!!

Mein größtes Problem: Die Verallgemeinerungen. Sie spricht für alle Frauen. Ich möchte nicht vereinnahmt werden! Männer werden unter Generalverdacht gestellt, als würden wir in einer dystopischen Welt leben, in der hinter jedem Baum, jeder Mauer, ein schwanzwedelndes Männchen lauert, das uns schänden, erniedrigen oder uns als Hintern abwischende Ehefrau vereinnahmen möchte.

Ich dachte eigentlich, dass wir das Alice Schwarzer Geschreie hinter uns gelassen haben. Dass die Aufregung bereits sachlicher Diskussion weicht und immer mehr Strukturen geschaffen werden, die die Gleichberechtigung vorantreiben. Dass die Mühlen langsam mahlen, wissen wir doch und die Gesellschaft mit ihrer Entwicklung hinterherhinkt. Corona war glaub ich für so einiges ein Augenöffner, was nicht funktioniert. Ist es nicht gerade deshalb umso wichtiger progressiv und konstruktiv an die Themen heranzugehen, statt wild um sich zu schlagen und noch den letzten zu vergraulen, den man hätte abholen können? So empfinde ich jedenfalls einen Großteil dieses Buches.

Fazit: Ein Buch mit brennend heißen, sehr wichtigen und komplexen Themen, das es verpasst den Diskurs in eine offene, aufeinander zubewegende Diskussion zu lenken. Ein Buch das destruktive Gedanken und Verhaltensmuster fördert und durch die furchtbare Zuspitzung in Absolutismen, Verallgemeinerungen und Klischees, unterkomplex bleibt und zu einer Verzerrung der Realität sorgt.
Profile Image for Ellinor.
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March 29, 2022
Die Wut, die bleibt ist ganz unverkennbar Mareike Fallwickl: eine Story, die hängenbleibt und zum nachdenken anregt, hervorragend ausgearbeitete Charaktere und eine Entwicklung, die so nicht vorhersehbar war. Und dennoch ist das Buch ganz anders als die beiden Vorgänger - es ist nämlich vor allem auch eines: wütend.
Diese Wut kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich bin fast gleich alt wie Helene und Sarah und habe oft mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Daher kann ich mich sehr gut in die beiden einfinden, auch wenn natürlich hinsichtlich Helenes Entscheidung immer der Gedanke bleibt, warum? Diesen Teil der Geschichte, auch Sarahs Entwicklung und ihre Entscheidungen am Ende fand ich äußerst gelungen.
Mich in Lola hineinzuversetzen fiel mir dagegen deutlich schwerer. Dies ist natürlich teilweise ein Generationenproblem, es liegt aber auch an der Entwicklung, die diese Figur mitmacht. Ich finde es gut, dass sie sich emanzipiert, dass sie informiert und woke ist. Doch es gibt in der Geschichte einen Punkt, an dem mir diese Entwicklung zu radikal wird. Ich verstehe ihre Wut und finde ihren Mut zur Veränderung bewundernswert. Sie überschreitet nur einen Punkt, an dem ich ihre Handlungen nicht mehr gutheißen kann. Mir ist bewusst, dass der Roman diese Radikalisierung benötigt, ich kann sie aber dennoch nicht gutheißen. Die ist besonders in der Szene beim Schulsport der Fall: das Verhalten der Lehrerin ist ohne Frage völlig inakzeptabel, Lolas Reaktion geht aber auch zu weit. Und im anschließenden Gespräch mit dem Direktor reagiert Sarah auch nicht ganz korrekt.
Besonders gut gefallen hat mir, wie Mareike Fallwickl ihre Sprache ändert, wenn sie aus der Sicht der unterschiedlichen Figuren schreibt. Bei Lola wird beispielsweise gegendert, bei Sarah nicht. Dadurch wird der Text sehr authentisch. Und wie immer gefällt mir gut, dass er einfach österreichisch ist und sie nicht versucht, ihn für den wesentlich größeren deutschen Markt anzupassen.
Ich denke, diese Buch wird bei vielen unterschiedliche Reaktionen auslösen und ich freue mich schon jetzt auf viele anregende Diskussionen!
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April 12, 2022
Salzburg im März 2021 - Mitten im weiß der Geier wie vielten Lockdown steht Helene wortlos beim Abendessen auf und stürzt sich vom Balkon. Ihrem Ehemann und ihren drei Kindern wird der Boden unter den Füßen weggezogen, aber auch das Leben ihrer beste Freundin Sarah wird völlig aus der Bahn geworfen. Gemeinsam versuchen sie die Lücke in ihrem Leben zu schließen. Sarah unterstützt Helenes Familie nach all ihren Möglichkeiten und realisiert dabei schnell, was für Leistungen ihre Freundin im Alltag erbracht hat und unter welchem Druck sie stand. Währenddessen kämpft die älteste Tochter Lola mit ihren Emotionen und versucht einen Weg zu finden mit ihnen umzugehen. Dabei fokussiert sie sich in erster Linie auf ein Gefühl: Wut.

„Die Wut, die bleibt“ kann man bei diesem Buch wortwörtlich nehmen. Die Wut baut sich über den Verlauf des Buches hinweg auf und sie bleibt auch lange nach dem Beenden. Abwechselnd aus Sarahs und aus Lolas Sicht erzählt Mareike Fallwickl eine Geschichte über Erwartungshaltungen, Überbelastung, patriarchale Strukturen und vor allem über das Wütend Sein. Sie thematisiert Ängste und Bedürfnisse und hat das alles in eine wahnsinnig spannende Story gepackt. Dieses Buch ist Feminismus auf den Punkt, allein schon, weil gegendert wird und guess what, es stört den Lesefluss kein Stück. Mareike Fallwickls drittes Buch konnte ich kaum aus der Hand legen und das obwohl sich beim Lesen alles in mir zusammengezogen hat. Jedes Gefühl, jede Situation ist so greifbar geschildert und Sarah und Lola sind zwei spannende, authentische Protagonistinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Besonders erschrocken lässt mich noch immer Lolas radikale Entwicklung zurück, aber an der Stelle eröffnet das Buch ein unheimlich großes Diskussionspotential. Ich könnte über dieses Buch sowieso wahrscheinlich Stunden sprechen, also lest selbst. Mareike Fallwickl hat es wieder geschafft ein unfassbar mitreißendes Buch zu schreiben, was so nah am aktuellen Zeitgeschehen steht. „Die Wut, die bleibt“ ist schmerzhaft und äußerst brutal und dabei wahnsinnig wortgewaltig und tiefgründig. Dieses Buch hat mich sehr berührt und aufgewühlt.
Dicke Leseempfehlung!
51 reviews60 followers
April 16, 2022
4.5 ⭐️

TWs: Suizid, s*xualisierte Gewalt, Gewalt, Essstörungen, Misogynie, Dick_Fettfeindlichkeit

ich mochte das sehr gerne. es war schmerzhaft, aber größtenteils auf eine empowernde weise. es war stark, aber leider ein bisschen cis-normativ. es war gut, weil es wutfantasien zur realität macht.
Profile Image for Christina .
300 reviews33 followers
February 12, 2024
3,5 Sterne
Selten habe ich so ein wütendes Buch gelesen. Es hat mich gleichermaßen applaudieren und schimpfen, ungläubig den Kopf schütteln und energisch dagegen wehren lassen. Es hat so viele Ecken und Kanten, an denen ich mich immer wieder gestoßen und gerieben habe und es hat mir viele Facetten und Möglichkeiten aufgezeigt. Ich habe mich viel aufgeregt über Lola und Sarah. Genau deshalb werde ich sie so schnell nicht vergessen.
"So schwer ist das nicht - wenn Sie Osterei und umarmen sagen können, können Sie auch Schüler•innen sagen!"
Profile Image for miss.mesmerized mesmerized.
1,405 reviews38 followers
March 22, 2022
Helene steht vom Abendbrot-Tisch auf, öffnet die Balkontür und stürzt sich zwölf Meter in die Tiefe. Zurück bleiben ihr Mann Johannes, die fast fünfzehnjährige Lola und die beiden Kleinen Maxi und Lucius. Sarah, Helenes Freundin seit Kindergartentagen, springt ein, übernimmt die Rolle der Mutter und Putzfrau, während Johannes so weitermacht wie zuvor. Lola wird zunehmend wütender, während des Lockdowns ist sie auf feministische Bloggerinnen gestoßen, hat unzählige Bücher gelesen und sieht nun zu, wie die unabhängige Autorin genauso in eine Rolle gezwängt wird, die ihre Mutter nicht mehr ausgehalten hat. Doch nun geht Lola weiter, sie will nicht Opfer werden, sich von Männern erniedrigen lassen und Worte, das hat sie bereits gelernt, reichen im Notfall auch nicht, um sich zu verteidigen.

Mareike Fallwickl verarbeitet in „Die Wut, die bleibt“ das, was inzwischen durch Statistiken mehr als gut belegt ist: all die Jahre des Kampfes um Emanzipation, für Gleichberechtigung und geteilte Familienarbeit wurden mit der Pandemie einfach weggewischt. Die Frauen sind beruflich zurückgetreten, haben Job, Familienarbeit und Homeschooling übernommen, während die Männer maximal das firmeneigene gegen das häusliche Büro getauscht haben. Im Fall von Helene war das Ende der Fahnenstange erreicht und sie hat den brutalen Ausweg gewählt. Die Frage nach dem Warum stellt sich niemandem wirklich.

Ohne Frage ist „Die Wut, die bleibt“ weniger eine Auseinandersetzung mit dem Verlust eines geliebten Menschen als ein radikal-feministischer Roman. Sarahs Reflex, Johannes nicht mit den Kindern allein lassen zu können, ungefragt für die Freundin einzuspringen und deren Rolle zu übernehmen unter Aufgabe ihres eigenen Lebens – niemand wundert sich wirklich darüber oder hinterfragt ihr Handeln. Der Vater muss gar nicht erst versuchen zurechtzukommen, es wird ihm schon abgenommen, bevor er es erkennt. Sarah merkt zwar, dass etwas schiefläuft, aber ihre Erziehung und ihre Rollenbilder erlauben ihr trotz des Glaubens an die vermeintliche Emanzipation nicht, das, was geschieht, ernsthaft infrage zu stellen.

Erst durch Lola und deren deutlich radikalere Ansichten, setzt ein Denkprozess ein. Bei dem Mädchen nimmt dieser durch den nicht verarbeiteten Verlust und die unwirkliche Situation deutlich schneller Fahrt auf. Die schützende Mutter ist weg und auch sonst niemand mehr da, der sich schützend vor sie stellen würde. Das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht treiben sie an, etwas zu ändern. Doch sie schlägt nicht den intellektuellen, sondern den physischen Weg des Widerstands ein und findet Mitstreiterinnen, die sich gegenseitig antreiben.

Sarah und Lola ergänzen und spiegeln sich. Sie gehören zu unterschiedlichen Generationen und agieren entsprechend auch verschieden. Der jeweilige Verlust mag in der Intensität ähnlich sein und doch ist er nicht vergleichbar. Es liegt in der Natur des Teenager Daseins, ohne Rücksicht auf Verluste und Gefühle wahrgenommene Wahrheiten auszusprechen und man muss einräumen: wirklich falsch liegt Lola mit ihren Feststellungen nicht. Das kann natürlich keine Entschuldigung für die Gewalt sein, die sie als Antwort auf Ungerechtigkeit wählt, aber es fällt auch nicht wirklich schwer, ihren Gedanken zu folgen.

Die Positionen Sarahs und Lolas sind nicht weit auseinander und doch: es mag der Altersunterschied, die Erfahrung oder auch einfach die Aufgabe des Kampfes und der Weg des geringeren Widerstands in der Gesellschaft sein, der sie auf scheinbar unterschiedliche Seiten stellt. Sie suchen und brauchen beide ein Ventil. Als Leser spürt man ihre Wut, die verdrängten in ihren Körpern gefangene Emotion, die einen Weg nach draußen braucht, um wieder ein inneres Gleichgewicht herzustellen.

Ein Roman, der einem unmittelbar berührt, mitreißt und zwei starke Protagonistinnen, die man gerne wie beste Freundinnen in den Arm nehmen und drücken möchte, um ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind mit dem, was sie erleben, weil man auch als Leser ganz nah bei ihnen ist.
Profile Image for Conny Müller.
152 reviews3 followers
March 20, 2022
Mein Jahreshighlight! Wichtig, aufrütteln, unbedingt lesen! 5 Sterne werden dem Buch nicht gerecht! Brandaktuell zeigt uns Mareike Fallwickl welchen Stempel jeder Frau aufgedrückt wird, sobald sie Mutter ist. Grandios!
Profile Image for Booklunatic.
1,075 reviews
January 27, 2024
4,5 Sterne

Schreibstil/Sprache: Liebte ich. Inhaltlich: Spannend, aber die Message war mir teilweise zu plakativ und ein Handlungsstrang zu überzogen brutal.
Profile Image for Dana.
232 reviews23 followers
February 9, 2023
Ich war nach dem Lesen dieses Buches unfassbar wütend. Allerdings nicht auf die Weise, die dieses Buch beabsichtigt hat - sondern auf das Buch selbst.

Die Prämisse des Ganzen hätte gut werden können - ein Buch über Mental Work Load generell und besonders in der Covid-19-Pandemie, über patriarchale Strukturen, die für zusätzliche Belastung von Frauen führen, und die Frage, was passiert, wenn eine Frau nicht mehr die selbstverständliche Rolle als Mutter einnimmt, sondern wegfällt.
Stattdessen ist dieses Buch auf so vielen Ebenen problematisch, dass ich nicht verstehe, wieso es von vielen als feministisch gefeiert wird - denn mit dem Feminismus, den ich vertrete, hat es wenig zu tun. Ich hatte eher das Gefühl, dass dieses Buch vielmehr ein negatives Bild von Feminismus zeichnet, das vor allem solche, die bisher wenig damit zu tun haben, eher abschreckt.

Überhaupt habe ich nicht verstanden, wer die Zielgruppe ist. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Lola, der Tochter der vertorbenen Helene, und Sarah, Helenes bester Freundin, erzählt. Lola wird als radikale Feministin dargestellt, Sarah irgendwo zwischen Altfeminitin und "hat sich seit Jahren nicht mehr viel damit beschäftigt". Was bedeutet, dass Lola ihr letzteres immer wieder vorwirft und sie dafür verurteilt, nicht auf dem Stand aktueller feministischer Diskussionen zu sein. Und spätestens hier habe ich mich gefragt, an wen sich das Buch richtet.
An Menschen, die schon mit feministischen Themen vertraut sind? Dafür werden oft Aspekte wie Gender Pay Gap erklärt, mit denen diese tendenziell schon vertraut sind.
An Menschen, denen man Feminismus nahebringen will? Das fände ich extrem schwierig.

Das Problem ist, dass Lola einen in meinen Augen unfassbar problematischen Feminismus vertritt. Sie weist ihre Bibliothekarin zurecht, dass sie nicht gendert, als wäre Gendern eine Pflicht, sie verurteilt Sarah dafür, dass sie feministische Anspielungen nicht versteht, und ihre Mutter, dass sie keine Zeit hatte, sich in feministische Themen reinzulesen, als wäre es nicht ein Privileg, diese Zeit zu haben. Als müsste man feministische Anspielungen und Theorien kennen, um Feminist*in zu sein. Was für mich weißer Mittelschichtsfeminismus ist. Und was dem Bild entspricht, das viele von Feminismus haben und von dem sie abgeschreckt werden. Ehrlich gesagt wäre ich von Lolas Feminismus abgeschreckt gewesen.
Denn das Problem ist, dass es nirgends reflektiert wird. Ich wäre okay damit zu sagen, Lola ist ein Charakter mit sehr radikalen, problematischen Ansichten, wenn das entsprechend reflektiert würde, aber das wird es nicht, und damit beschränkt sich die Zielgruppe in meinen Augen auf Menschen, die sich genug mit Feminismus auseinandergesetzt haben, um die Problematik zu verstehen.

Stattdessen gibt die Handlung Lola Recht. Gewalt wird als Lösung präsentiert und verherrlicht (seriously wtf), sexualisierte Gewalt gegen Männer als okay dargestellt, ohne das zu reflektieren - das war der Punkt, an dem ich endgültig wütend wurde.
Überhaupt entsteht von den Charakteren ein einziges Bild von Frauen gegen Männer. Männer sind die Bösen, Frauen müssen sich gegen sie zusammenschließen. Und das ist ein Feminismus, von dem ich dachte, dass wir ihn längst überwunden hätten. Dass das Patriarchat das Problem ist - nicht Männer an sich - und dass Männer auch darunter leiden, wird nie betrachtet.
Die männlichen Charaktere bleiben blass, ihr Verhalten nur patriarchal. Dass Johannes als Ehemann genauso über den Tod seiner Frau hinwegkommen muss und vielleicht deswegen nicht alles richtig macht, wird nie wirklich beleuchtet. Stattdessen wird ihm nur vorgeworfen, sich nicht um seine Kinder zu kümmern. Dass er nicht einfach aufhören kann zu arbeiten, wird wenig betrachtet.

Was mich dabei extrem gestört hat, war gerade auch die Binarität des Dualismus. Nicht-Binarität wird innerhalb dieses Buches komplett unsichtbar, zwischendurch gibt es transexkludierende Stellen, an denen Brüste beispielsweise als Symbol der Weiblichkeit dargestellt werden. Nirgends wird darauf eingegangen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Das ist deshalb ironisch, weil Lola Sarah ja vorwirft, nicht alle feministischen Diskussionen zu kennen.
Was mich dabei auch wütend gemacht hat, war die ständig mitschwingende Global-Sisterhood-Idee, also die Vorstellung, dass alle Frauen der Welt verbunden sind. Denn wenn man sich tatsächlich mal mit feministischer Geschichte und verschiedenen Diskussionen auseinandersetzt, könnte man darauf stoßen, dass diese Ansicht von weißen Feministinnen früher stark vertreten und dann von Schwarzen Feminist*innen scharf kritisiert wurde. Letztere haben darauf verwiesen, dass diese Idee einer Global Sisterhood Ungleichheiten zwischen Frauen (wie durch Rassifizierung, Klasse oder sexueller Orientiertung) unsichtbar macht und dass Themen, die weißen Frauen wichtig sind, für Schwarze weniger wichtiger sind im Vergleich zu Problemen, die sie stärker betreffen.
Auch das wird in diesem Buch nie reflektiert. Der Feminismus von Lola und den anderen weiblichen Charakteren liest sich nicht intersektional, sondern wie weißer Mittelstandsfeminismus aus dem letzten Jahrhundert - nicht die Art Feminismus, die ich gerne denen vermitteln würde.

Ansonsten werden in diesem Buch unfassbar viele Themen aufgemacht, die aber oft nicht so sensibel behandelt werden, wie es notwendig gewesen wäre. Dabei habe ich auch schmerzlich eine Triggerwarnung am Anfang vermisst, denn sowohl Essstörung als auch Selbstverletzung werden sehr detailliert beschrieben, aber auch nicht weiter reflektiert. Anscheinend kann der Feminismus in dem Buch (a. k. a. nicht den, den ich vertrete) sowas auch heilen.

Irgendwann auf den letzten hundert Seiten habe ich das Buch abgebrochen und den Rest nur noch überflogen (um zu sehen, ob noch Reflektion kommt, die Antwort ist Nein), weil ich es nicht mehr ertragen habe - und ich breche wirklich selten Bücher ab. Es tut mir auch super leid, weil ich den Stil mag und "Dunkelgrün fast schwarz" von der Autorin toll fand, aber nach diesem Buch habe ich nicht wirklich Lust, noch nach einem anderen Buch von ihr zu greifen.
Profile Image for Merle.
1,224 reviews
July 8, 2024
Und nach dem Lesen des Buches ist es vor allem die Wut, die auch in mir bleibt.
Über das Systemversagen. Über ungleich verteilte Care-Arbeit und diese Erwartungshaltung, dass die Frauen sich schon irgendwie kümmern werden. Über die Schulkinder, die im Distance Learning vernachlässigt wurden. Über sexuelle Übergriffe - meist von Männer an oft jüngere Frauen - bei denen es am Ende doch keine Konsequenzen für die Täter gibt.

Besonders die Perspektive von Sarah hat mich sehr getroffen, hat mir ein mulmiges Gefühl gegeben, wie schnell auch emanzipierte Frauen in so eine Care-Arbeit-Falle rutschen können. Eine ungeschönte Darstellung von Kindererziehung, und wie die Hilfeschreie von Helene unter dem Kinderwusel ungehört geblieben sind.

Die Perspektive von Lola ist anders krass. Und polarisierend. Natürlich heiße ich nicht gut, wie gewaltverherrlichend Lola am Ende wird, dass es auch für sie keine Konsequenzen gibt.
Aber ist das nicht irgendwie auch eine Message dieses Buches? Was passiert, wenn das System versagt, wenn niemand hinschaut, und wie Teenager sich radikalisieren?
Kurze Side Note: an dem Buch merkt man auch, wie selbstverständlich gendergerechte Sprache in einen Roman eingebaut werden kann, ohne dass es stört.

Eventuell hätte die Autorin sich selbst noch expliziter gegen Gewaltverherrlichung aussprechen können, ein prägnanteres Nachwort oder so.
Mich wird dieses Buch noch lange beschäftigen und nachdenken lassen.
Profile Image for JosefineS.
131 reviews6 followers
April 20, 2022
Die Flucht einer Mutter und das was bleibt
Helene ist Mutter von drei Kindern und ein einziger Satz am Abendbrot Tisch bringt das Fass zum überlaufen. Sie öffnet die Balkon Tür und stürzt sich in die Tiefe. Zurück bleiben eine Familie und die beste Freundin, was fehlt ist ihr Fixpunkt im Chaos des Lebens. Eben jenes muss aber weitergehen schon allein für die Kinder. Doch das Leben anderer Menschen sieht bekanntlich immer leichter aus als es in Wirklichkeit ist. Nur wer fremde Schuhe trägt und fremde Wege geht, kann auch fremde Entscheidungen verstehen.

Zu aller erst hätte dem Hörbuch ein Nachwort gutgetan, ich hoffe sehr, dass es im Buch eines gibt. Diese Erzählung einfach so im Raum stehen zu lassen, unerklärt, fühlt sich unrund an. Was am Ende blieb war tatsächlich Wut. Doch nicht auf Helene und ihren Suizid, Sarahs anfänglich überhebliche Einstellung der Mutterrolle gegenüber oder Lolas Entwicklung in diesem Buch. Nicht einmal auf das System, wo sie berechtigt wäre, denn viele der angesprochenen Themen in diesem Buch sind real, präsent und grauenvoll, doch die Wut die blieb betraf allein das Buch selbst und seine Autorin. Was will sie uns als Müttern, Opfern oder Heranwachsenden mit diesem Werk sagen? Noch wichtiger, was will sie der Welt mit diesen Zeilen sagen? Der Suizid einer völlig ausgebrannten Mutter wird in keinster Weise hinterfragt bis auf ein beleidigtes „du hättest durchhalten müssen“ und die beiläufig gemachte Erkenntnis über diesen 24/7 Job. Die Kinder hätten dringend Therapie oder zumindest eine Trauerbegleitung gebraucht aber irgendwie musste man ja die Kurve zur ausflippenden Teeny Tochter schlagen. Alles kein Grund zur Sorge, die beste Freundin kommt ja und wuppt das, wie schwer kann das alles schon sein. Gott sei Dank merkt sie schnell, dass es eben nicht so einfach ist, doch sitzt das wirklich fest in jemandem, der jederzeit die Option hat zu gehen? Es werden unglaublich viele Themen angeschnitten, sozialer Druck, herabwürdigendes Verhalten untereinander, Gewalt gegen Frauen, sexuelle Übergriffe, Rollenbilder, die Genderfrage und Bodyshaming um nur ein paar zu nennen. Diese Themen sind wichtig, weil sie reale und gravierende Probleme unserer Gesellschaft sind, umso wütender lies mich das Buch zurück, weil sie angeschnitten, erwähnt werden, wütend machen, aufwiegeln und dann stehen gelassen werden. Der bittere Nachgeschmack, bleibt am Ende bestehen, dass all diese benutzt wurde um eine Story zu fabrizieren und nicht mehr. Männer wurden hier als alleiniges Feindbild dargestellt. Natürlich gibt es sie an jeder Ecke, sie akzeptieren kein nein, sie packen nicht mit an, sie greifen dazu, wo es sie es nicht dürfen, sie entziehen sich der Verantwortung. Doch in diesem Buch gab nicht einen einzigen Mann der eine positiv zu wertende Interaktion zeigte. Die Antwort darauf ist Gewalt, wir bekämpfen Feuer mit Feuer und was noch schlimmer ist, diese Gewalt wir verherrlicht und unter dem Deckmantel des Feminismus, der zur Wehrsetzung und das Aufbegehren gegen das System verkauft. Es gibt keine guten Täter und Rache als Symbol der Befreiung zu bezeichnen ist erschreckend. Es werden Grenzen überschritten und das ist in diesem Buch völlig okay. Ich bin als Mutter entsetzt wie diese fordernde und auszehrende Situation als Stilmittel benutzt, wie Wut und Angst junger Menschen instrumentalisiert wurde und der Mann zum gemeinsamen Feindbild erhoben wird. Seid lieber die Mütter und Vater der Söhne und Töchter, die es irgendwann besser machen werden, seid untereinander füreinander da. Lolas „Slang“ war manchmal anstrengend, die Kapitelüberschriften machten das Ganze auch nicht viel besser. Die Sprachliche Umsetzung des Hörbuches war gut, ich hatte nur anfänglich Schwierigkeiten mich an eine der beiden Sprecherinnen zu gewöhnen, da sie mir von einem anderen Buch mit polarisierender Rolle noch zu stark im Gedächtnis war.

Fazit: was bleibt ist Wut und Unverständnis über dieses Buch, der bittere Beigeschmack, dass sehr ernste Themen nur schmückendes, hass erzeugendes Beiwerk waren. Eine Hassschrift unter dem Deckmantel des Feminismus.
Profile Image for Armin Klica.
122 reviews21 followers
June 5, 2024
Die Themen, die angesprochen werden, sind total wichtig.
Die Umzetzung hat irgendwie nicht gepasst - zumindest für mich nicht.
Habs dann abgebrochen, weil es mich nicht gereizt, sondern gelangweilt hat.

Profile Image for Ina Vainohullu .
885 reviews17 followers
April 3, 2022
Meine Erwartungen an "Die Wut, die bleibt", waren sehr hoch. Zum Einen aufgrund des Themas, zum Anderen, weil mich Mareike Fallwickl bisher mit ihren Romanen noch nie enttäuscht hat und ich sie als Frau in den Social Medias für ihre feministischen Posts und Buchempfehlungen wirklich feiere.

So wirklich zufrieden lässt mich dieser Roman jetzt aber nicht zurück und es tut mir fast schon ein wenig leid, dies sagen zu müssen, denn die patriarchalischen Prägungen unserer Gesellschaft und das Ablegen ebendieser sind so ein wichtiges Thema, aber die Umsetzung hatte Schwächen.

Es geht im Roman hauptsächlich um Lola und Sarah, die Beide mit dem Suizid ihrer Mutter/besten Freundin konfrontiert werden. Helene scheint die Pandemie zunehmend zu erdrücken, die Last die die Gesellschaft ihr als Mutter auferlegt. Es folgt ein Lockdown auf den Nächsten und sie kümmert sich ausschließlich allein um ihre 3 Kinder, bringt das Essen auf dem Tisch, an dem herumgemotzt wird, kümmert sich um alle Termine, den Haushalt, eben um ALLES, da Johannes ja schließlich Geld verdienen muss. Der Roman zeigt ganz klar, dass es auch heute noch selbstverständlich ist, dass Haushalt und Kindererziehung Frauensache sind. Das wir in Strukturen gefangen sind, die uns vorgelebt wurden und aus denen mensch aber endlich ausbrechen muss, denn Care-Arbeit ist eben NICHT NUR Frauensache !

Das Thema, nur eines von Vielen in diesem Roman, die alle gleichbedeutend wichtig waren, war mehr als perfekt gewählt, doch mit der Umsetzung hatte ich echt Schwierigkeiten.

Sarah, die selbst keine Kinder, sich aber immer Familie gewünscht hat, schlüpft beinahe nahtlos in Helenes Rolle, kümmert sich um die beiden Jüngeren, erkennt wohl auch die Fehler im System, entschuldigt sich gedanklich bei ihrer toten Freundin, dass sie sie so oft belächelt hat, wenn sie über den familiären Stress, verpackt unter einer Schicht aufgesetzten Humors, geklagt hat, bleibt aber gut Dreiviertel des Buchs passiv und macht einfach so weiter.

Lola hingegen, Helenes 15jährige Tochter beginnt sich zu radikalisieren, kann ich leider nicht anders beschreiben. Nachdem einer Freundin etwas Schlimmes passiert, tun sich die Mädchen zusammen, um diese Tat zu rächen. Ihr Beweggrund ist die Tatsache, dass wir in einer Gesellschaft leben, in denen mensch Frauen und Mädchen vorwirft, die Taten durch Kleidung, Blicke und Co. provoziert zu haben. Es ist traurigerweise fast Normalität, dass in solchen Fällen eine Täter-Opfer-Umkehr stattfindet. Und das wissen die Mädchen, weshalb sie zu Gewalt und Selbstjustiz greifen. Und damit hatte ich massive Probleme, denn Beides ist einfach keine Option, um irgendeine Veränderung voranzutreiben.

Ein weiterer Punkt, der mir wirklich richtig auf die Nerven ging, war, dass die Männer in diesem Roman, also Johannes (Helenes Ehemann) und Leon (Sarahs Freund) eine sehr blasse Rolle spielen. Besonders Johannes hatte im gesamten Buch vielleicht 4 Sätze zu sagen, ist aber von Vornherein der Böse, weil er sich ausschließlich ums Finanzielle kümmert. Und ja, natürlich ist dieses Denken ein Missstand, allerdings machen es ihm die Frauen auch sehr lange, sehr leicht. Was wiederum dazuführt, dass er gar nicht die Chance auf einen Lernprozess bekommt. Kommunikation ist der Schlüssel zum Umdenken, meine Meinung. Und wenn Niemand, besonders die Frauen, ausspricht was falsch läuft, dann kann das Gegenüber auch sein Verhalten nicht ändern, weil es denkt: läuft ja alles. Oder nicht mal das Gefühl hat, es könnte etwas falsch laufen.

Vielleicht bin ich, die mit ihrem Partner schon von Beginn der Beziehung vor 20 Jahren an auf Augenhöhe steht, aber auch tatsächlich so frei von dieser altbackenen, patriarchalisch geprägten Rollenverteilung, zumindest innerhalb der Familie, dass ich es einfach nicht beurteilen kann. Hier stellte sich die Frage nie, wer wieviel von welchen Aufgaben übernimmt. Hier wurde das immer schon 50/50 geteilt, auch nachdem dann das Kind da war. Vielleicht kann ich mich in dieser Hinsicht aber auch einfach sehr glücklich schätzen, was mich dann wiederum traurig macht und ja auch wütend, für all die Frauen, an denen alles alleine hängenbleibt.

Was nicht heißt, dass ich aus dem Buch nicht immer noch etwas mitgenommen haben. Mehr geht immer !

Gut gefallen, um auch noch positive Aspekte zu nennen, hat mir der Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung der Frauen, auch wenn sie bei Sarah und Lola erst recht spät kommt. Wir sollten uns zum Beispiel unbedingt mehr gegenseitig supporten, statt uns zu bewerten.

Auch den Schreibstil fand ich klasse. Ich mag Mareike Fallwickls recht nüchterne, aber deutliche Schreibe sehr.

Alles in allem kann, will und muss ich sagen, dass die Themenvielfalt gut, wichtig und richtig war, die Umsetzung mich aber eben nur bedingt erreicht hat.

3.5 von 5 Sternen
Profile Image for Hannah.
24 reviews3 followers
August 10, 2024
Hab’s lange umarmt, nachdem ich es beendet hatte
Profile Image for Momentansicht.
107 reviews3 followers
August 23, 2022
Noch nie fiel mir eine Rezension so außergewöhnlich schwer, wie diese.
Wut ist ein unglaublich starkes Gefühl. Es kann zu Höchstleistungen anspornen, es kann aber auch lähmen und verzweifeln lassen.

Mareike Fallwickl hat einen hochaktuellen Roman geschrieben, über die Last von Frauen, die kaum wahrgenommen, geschweige denn respektvoll darüber geredet wird. Sie nimmt klar Stellung, wirft viele Fragen auf und führt ihre Leser*innen schmerzhaft dazu, ihre eigenen Gedanken zu sezieren.

Ein feministischer Roman, empowernd, würdevoll.
Profile Image for Monika.
255 reviews24 followers
October 30, 2022
Auf dem Papier hätte mir das Gefallen sollen. Feminismus in unterschiedlichen Generationen, weibliche Wut, Umgang mit Verlust, Trauer und (sexualisierter)Gewalt, toxische Männlichkeit, gender roles sind alles Themen, mit denen ich mich "gerne" und viel beschäftige. Ich glaube auch nicht, dass die Autorin, wie viele hier in den Rezensionen es tun, entweder Sarahs oder Lolas Feminismus unkritisiert gutheißt oder feiert. Die Themen, die der Roman behandelt, gehören diskutiert sowohl in der Gesellschaft als auch in fiktiven Werken.

Aber die Art, wie das hier geschieht gefällt mir gar nicht.
Einerseits sind die Charaktere Karikaturen, eindimensional und flach. Unfähige, gefühlskalte Männer, die sich null um ihre Kinder und Partnerinnen scheren, randalierende, wütende Teenager, Frauen, die 100% der Care-Arbeit übernehmen, daran verzweifeln. Klar, gibt es alles, aber ich bin es so satt, ich will Nuancen. Die Charakterisierung hat es mir nicht ermöglicht mit Kindern mitzufühlen, die auf tragische Weise ihre Mutter verloren haben. Ihre Beziehungen und Bindungen habe ich ihnen irgendwie nicht abgekauft, hatte eigentlich gar kein Interesse weiterzuhören.

Zum Anderen habe ich mich vom Erzählstil für dumm verkauft gefühlt. Jede Aussage, die die Erzählung machen will, muss scheinbar so ausformuliert werden, dass man sie in keine andere Richtung mehr interpretieren könnte. Häufig fallen Sätze wie "Der Mann macht dieses und jenes und es ist normal, die Frau dagegen...". Es hat sich stellenweise angefühlt, wie ein Twitter Thread zu Care-Arbeit oder Misogynie, der auf Twitter ja durchaus seine Daseinsberechtigung hat, aber im Roman hätte ich lieber etwas zum Mitdenken und würde lieber selbst zu einem Schluss kommen, anstatt alles platt auf die Nase gebunden zu bekommen. Zeig mir Doppelmoral und Wut, erzähl mir nicht nur davon!

Habe bei etwa 80% abgebrochen, weil ich lieber in einer lauten Bahn saß, als es weiterzuhören. 80% zählt für mich als gelesen. Sue me.
Profile Image for Linda.
29 reviews26 followers
July 17, 2023
"Denn das Problem, wenn man jemanden liebt, der einen nicht zurückliebt, ist, dass man sich nie sicher sein kann. Dass man sich ständig fragen muss, ob man womöglich bloß zu negativ denkt, ob die Liebesbeweise des anderen eventuell nur nicht aussehen wie erwartet, dass man permanent auf der Lauer liegt, Sätze durchleuchtet, jene, die ausgesprochen werden, und jene, die ungesagt bleiben."
Profile Image for Monerl.
482 reviews9 followers
March 29, 2022
(4,5 Sterne)

Meine Meinung
Nachdem mir von dem Buch erzählt wurde und ich die Buchbeschreibung las, war mir klar, dass ich der Geschichte eine Chance geben werde.

Da ich selbst Mutter bin reizte mich die Ausgangssituation der Story: Helene, Mutter von drei Kindern, geht einfach wortlos zum Balkon und stürzt sich in den Tod. Und hinterlässt den zwei kleinen Kindern, der Teenager-Tochter und dem Ehemann einen Lebens-Scherbenhaufen. Die Frage war, was macht die Autorin mit diesen Scherben?

Ich selbst kenne diese Wut und dieses schreckliche Gefühl, dass ich keinen Bock mehr habe auf diese ganze Scheiße: Vollzeitarbeit, zwei Kids erziehen, Haushalt führen, Ehemann betütteln… Mental Load lässt grüßen! Wie wäre es, einfach ins Auto steigen und wegfahren? Irgendwohin! Einfach so! Ja, der Gedanke ist verstörend und doch kitzelt er hin und wieder in schlimmsten Zeiten auch ohne Pandemie und Krieg. Aber die Kinder, was soll dann aus den Kindern werden?

Helene macht es. Und das Leben geht weiter, auch ohne sie. Nicht ganz so gut natürlich, doch dann ist ja Sarah da, ihre beste Freundin seit Kindergartentagen. Sie leidet ebenso, wie Helenes Familie und springt als Ersatz-Bezugsperson ein, da sie ja auch irgendwie ein Teil von Helenes Familie war. Und da erkennt man als Frau sofort, wie es nun weitergehen wird. Schon oft gesehen und auch im Kleinen erlebt: Vätern, Männern wird entweder nicht zugetraut das alles zu wuppen oder es wird gedacht, das wäre nicht ihre Arbeit. Wo Sarah nicht einspringen kann ist Lola da. Auch noch Kind als Teenager und dann plötzlich erwachsen, ein Mutterersatz für die beiden kleinen Halbbrüder. Und der Mann? Er geht halt arbeiten, ist viel beschäftigt und verlässt sich auf die beiden Frauen.

Ja, da ist überall Wut! Beim Lesen, beim Nachdenken über die Geschichte, beim Vergleichen im Real Life, denn die Geschichte ist erfunden und doch läuft es überwiegend genau so ab im echten Leben. Ich kenne sie, die Mütter, die zwar nicht vom Balkon gesprungen sind, sondern innerhalb der Familie leiden oder sich genau aus all den Gründen scheiden lassen. Nicht alle Frauen schlucken mehr alles runter und dulden ein gescheitertes Familienleben bis die Kinder erwachsen Kind.

Es war sehr spannend die beiden unterschiedlichen Wege zu verfolgen, die Sarah und Lola nach Helenes Suizid gehen. Lolas Wandlung, nach einem bestimmten Erlebnis, ist radikal. Vorher schon aufgeklärt bzgl. Feminismus, Zeitgeist und den Erwartungen an Mädchen und Frauen legt sie ihre Weichheit ab und wird stark, psychisch und physisch. Ob ihr Weg der Gewalt die richtige Antwort ist, ist eine andere Frage. Doch durch ihr Umdenken aus ihrer Generation heraus stärkt sie die Position der künftigen Generation von Frauen und Müttern. Keine Anpassung mehr, um die Spielregeln der Macht- und Männerwelt zu befolgen. Laut sein, Meinung haben und für diese und sich einstehen, nicht so wie Sarah, die mit ihren 40 Jahren immer nur einer Idee von sich selbst hinterhergejagt ist.

Mareike Fallwickl legt den Finger in die tiefen Wunden und bietet mit ihrem Buch eine tolle Diskussionsgrundlage! Viele Frauen erkennen die Strukturen. Interessanter wären die Einblicke von Männern und Vätern! Wie sehen sie die Geschichte? Wie ist ihre Außensicht? Wie und durch was kann man sie erreichen, die vielen „Johannes“, die wie Helenes Ehemann agieren? Meldet euch, lasst uns darüber sprechen!

Zum Hörbuch
Ganz fantastisch als Hörbüch! Man kann sich richtig in die Geschichte fallen lassen und wütend werden. Absolut hörenswert!


Fazit
Ein wütender und starker Roman, der die Situation vieler Mütter, der sie noch verschärft durch Pandemie und den Logdowns ausgesetzt waren, sichtbar macht. Ein Roman über die Erwartung an Frauen und was alles falsch an diesen Erwartungen ist. Ein Apell an Mädchen und Frauen laut zu werden und gemeinsam füreinander da zu sein, stark zu sein und Änderungen voranzutreiben.
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August 5, 2024
konnte einfach nicht aufhören weiterzulesen, wie heftig ist dieses buch?
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